Februar 2017
WELT am Sonntag – Marion Hahnfeldt – 05. Februar 2017
Pfeiferauchen – der neue Trend unter Hipstern
Zug um Zug
Pfeiferauchen galt lange als eine Passion gediegener, älterer Herren. In Retro- und Entschleunigungszeiten scheint es auch für Hipster wieder interessant
Irgendwann während des Gesprächs zündet sich Michael Derlin dann selbst eine Pfeife an. Einen Moment lang umnebelt der Qualm seinen Kopf, er atmet tief, schließt kurz die Augen, scheint ganz bei sich. Derlin, hochgewachsen, Vollbart, wache Augen, ist Pfeifenspezialist; er raucht sie nicht nur, er verkauft sie auch. Fünfhundert Stück umfasst sein Sortiment, dazu Tabak, Zigarren, Zigaretten, Whisky, Gin, alles Dinge eben, die heutzutage zumindest streitbar sind. Er, so entspannt in seinem Lädchen sitzend, der "Smokers Corner" in Lübeck, hat dazu naturgemäß eine eigene Sicht: "Die Pfeife", sagt er in den Rauch hinein, "ist ja auch ein sinnliches Vergnügen."
Würde man so etwas wie eine Hierarchie des Rauchens erstellen, unten stünde die Zigarette, dann käme die Zigarre und über allem würde die Pfeife thronen. Ihr Nimbus ist ein anderer; nicht so prollig wie die der Zigarette, nicht so protzig wie die Zigarre, vom Image her eher intellektuell. Günter Grass war Pfeifenraucher, Max Frisch, Albert Einstein, auch Herbert Wehner, der Politiker, und wahrscheinlich ließe sich die Liste berühmter Männer beliebig fortsetzen. Nur, diese Männer sind vergangen - und Pfeiferauchen ist ja nicht nur Vergangenheit. Im Gegenteil.
Pfeiferauchen wird wieder neu entdeckt; man muss nur auf die Straße gehen, auf private Parties oder einfach im Internet danach suchen. Junge Männer mit Bart, Hipster genannt, posten dort Selfies von sich mit Pfeife; in Foren wird über Tabakbeschaffenheiten und Pfeifen eifrig diskutiert, es gibt natürlich auch ein Magazin, das sich ausschließlich mit Pfeifen, Zigarren und Tabak beschäftigt - und es macht sich ja auch gut, zu all den Vollbärten und Holzfällerhemden, und wunderbar in die Zeit, in der sich viele nach Besinnung, nach Innehalten sehnen und jeder Retrolifestyletrend dankbar aufgegriffen wird, da passt es auch.
"Früher wurde nicht so viel Wert auf Details gelegt, da war die Pfeife eher ein normales Konsumprodukt", sagt auch Michael Derlin. Heute würde das Pfeiferauchen eher einen Gegenpol setzen zu der Hektik der Tage; wer Pfeife raucht, entscheide sich bewusst und in diesem Augenblick dafür. Gut, gesundheitlich gesehen mag auch sie keine Alternative sein, die Anhänger wissen das. Und doch, die Pfeife gehört für sie zum Leben, zum Genuss, wie der Sonnenuntergang, wie die Sahne auf dem Kuchen.
Fragt man Holmer Knudsen, was ihm das Pfeiferauchen bedeutet, sagt er das, was er in solchen Momenten immer sagt. "Die Zigarette ist eher der Quickie, die Zigarre die Affäre und die Pfeife die gute Ehefrau." Knudsen ist ein Mann von entwaffnender Freundlichkeit, er sitzt in Lauenburg an der Elbe an einem schweren alten Holztisch im Verkaufsraum von "Dan Pipe", für Pfeifenraucher eine Art Mekka; vor ihm steht eine Tasse Kaffee und er dreht sich - eine Zigarette. "Ich kann mir meine Pfeifen nicht leisten", sagt er mit einem Knarzen in der Stimme, sein Gegenüber lacht. Knudsen kennt das schon.
Pfeiferauchen ist Emotion
Er ist Pfeifenbauer, und damit sehr erfolgreich. Seine Pfeifen verkauft er europaweit, er verkauft sie nach China, nach Russland, Malaysia, 2004 hat er sich hier im Erdgeschoss der ehemaligen Malzfabrik eine Werkstatt eingerichtet, er hat den Schritt nie bereut. Pfeiferauchen ist Emotion, sagt er. Früher baute er Chemieanlagen, er war Ingenieur für Verfahrenstechnik, dann verlor er seinen Job, und über einen Freund kam er zum Pfeifenbauen, es war, als habe eins das andere gesucht. Er selbst sagt, dass er sich nichts anderes mehr vorstellen kann. Einer Reporterin vom Fernsehen hat er mal erzählt, dass er eines Tages einer der Besten werden möchte, in der Szene gilt das nicht als ausgeschlossen. Sein Stil? Schlichtes Design. Klassische Formen. Leichter Schwung. Er selbst raucht am liebsten kleine Pfeifen, er neigt nicht zum Größenwahn.
Etwa einen Tag dauert es, bis Holmer Knudsen eines seiner Modelle gefertigt hat; mehr als 50 Arbeitsschritte sind dafür notwendig, feilen, bohren, schleifen, es geht ihm um die perfekte Form, die perfekte Maserung, das perfekte Holz. Jedes Stück ein Unikat, keine Stangenware, jedes Stück handgefertigt. Wer eine Pfeife will, kann sie nicht einfach bei ihm kaufen; er muss in ein Fachgeschäft. Seine Teuerste kostet zwischen 250 Euro und 2000 Euro, es können aber auch mal 5000 Euro werden, "kommt darauf an". Wann ist eine Pfeife gut? "Wenn der Kunde zufrieden ist." Er meint es ehrlich.
Jedes Jahr sucht Deutschland den besten Pfeifenraucher, die Meisterschaft fand 2016 in Bremen statt. Es ist genau festgelegt, was den besten Pfeifenraucher ausmacht, das Regelwerk umfasst 40 Punkte. Stopfzeit fünf Minuten, Anzündzeit eine Minute, das Klopfen gegen den Pfeifenkopf ist untersagt, ebenso das Pusten in das Pfeifenmundstück, das Befeuchten des Pfeifenstopfers, und am Ende zählt, wer die Pfeife am langsamsten raucht. Die erste Meisterschaft gab es vor 44 Jahren, zu einer Zeit also, in der das Pfeiferauchen zum Alltag gehörte, und billig war es auch, billiger zumindest als die Zigarette, und das soll auch der Grund gewesen sein, warum es damals so populär war. Seither aber gingen die Absätze immer mehr zurück, und in einer Zeit, in der Fotos von Raucherfüßen und deformierte Raucherlungen die Verpackungen von Tabak und Zigarettenschachteln schmücken, wird es, was die Masse angeht, nicht einfacher.
Die Nonchalance des Pfeiferauchens
Marc von Eicken kennt sich damit aus, er empfängt in einem lichtdurchfluteten Besprechungsraum; zusammen mit seinem Vater führt er in einem Gewerbegebiet in Lübeck eines der letzten mittelständischen Tabak- und Zigarettenunternehmen Deutschlands, das Haus wurde von seiner Familie 1770 gegründet. In den Anfängen war die Produktion von Pfeifen- und Schnupftabak das Hauptgeschäft. Heute haben sich die von Eickens weitgehend daraus zurück gezogen, ihr Geld verdienen sie mit Zigaretten und Zigarettentabak. "Pralinengeschäft" nennt Marc von Eicken das Geschäft mit dem Pfeifentabak, es sei heute ein sehr spezieller und kleinteiliger Markt. Das besondere beim Pfeiferauchen sei das Problem zugleich: Es sei nichts, was man eben mal eben so draußen vor der Tür macht, "der Alltag heute ist schneller als das Produkt." Von Eicken spricht vorsichtig, jedes Wort abgezirkelt, Rauchen ist ein schwieriges, ein sensibles Thema, politisch, wirtschaftlich, gesundheitlich sowieso. Er selbst raucht hin und wieder, und wenn, dann ähnlich wie Holmer Knudsen, eher eine Zigarette. Pfeiferauchen sei in gewisser Weise Philosophie, sagt er, es sei das schickere Produkt und es sei Kulturgut.
Es gibt ein Foto von Björn Engholm, dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, er sitzt auf einer Holzbank, neben sich ein Glas Wein, die Pfeife in der Hand, die Beine übereinander geschlagen, hinter ihm wächst Schilf, die Sonne scheint durch den Pfeifenqualm. Die Aufnahme trägt eine wunderbare Nonchalance in sich. Sie erzählt vom Ankommen, sich auf den Moment besinnen.
Ähnliches sagt Michael Derlin, der Mann mit dem Tabakgeschäft in Lübeck. Und von ihm stammt der Satz, wonach man beim Kauf der Pfeife nicht nach der Mode gehen soll. "Wichtig ist, die Pfeife muss gefallen." Und Holmer Knudsen, der Pfeifenbauer, meint: "Die Pfeife muss zu einem passen. Im besten Fall hat man sie ein Leben lang."